Mainz – Zwischen bunten Garnrollen, Zugplakettchen, Werkbank und Nähmaschine sitzt Sylvia-Franziska Kindling in ihrer Manufaktur. Die zweifache Mutter hat einen ungewöhnlichen Beruf: Sie näht individuelle und ausgefallene Narrenkappen.
In ihrer kleinen Werkstatt «starkapp» in Mainz stapeln sich in einer Ecke Exemplare mit Plüsch, Federboas, Totenkopf-Anhänger oder aufgenähten Äpfeln. «Am besten geht was mit Glitzer», erzählt die Kappenmacherin lachend. Vor allem Discokugeln an der Kappe seien beliebt.
Mindestens drei Stunden, oft auch länger brauche sie für ein einzelnes Exemplar, erzählt Kindling. Die Kappen kosten dann ab 62 Euro aufwärts – je nach Aufwand. Besonders Nerven habe sie einmal ein Modell mit LED-Lichtern in der Krempe gekostet: «Das war ein Gefummel!» Gab es auch schon Kundenwünsche, die so unmöglich waren, dass sie ablehnen musste? Kindling schüttelt den Kopf.
Allein zwischen Dezember und Mitte Februar habe sie 150 Kappen gefertigt. Deren Form ähnelt den klassischen Kopfbedeckungen der Fastnachtsvereine, die Farbkombinationen und Dekorationen oft überhaupt nicht. Das gefällt nicht jedem. Bei aktiven Narren in Karnevalsvereine gebe es manche, «die das echt nicht aufsetzen würden». Zu den Freunden der bunten Kreationen gehörten dagegen beispielsweise der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sowie der Sänger und Fastnachtsprofi Oliver Mager, sagt Kindling.
Dass die gebürtige Bremerin überhaupt Narrenkappen näht, ist einem Zufall zu verdanken. Vor einigen Jahre sei ihr Mann am 11. November, dem traditionellen Beginn der fünften Jahreszeit, zu einem Fußballspiel gegangen. Für den Anlass habe sie für ihn eine Fußball-Narrenkappe mit einem Stück Kunstrasen aus dem heimischen Keller improvisiert. Die Kappe kam gut an: Erst habe sie für Freunde und dann für Freunde von Freunden genäht, erinnert sich Kindling. Schließlich habe sich die Kappenmacherrei verselbstständigt.
Fast noch in Sichtweite zu Mainz auf der anderen Rheinseite näht auch Eva Cezanne im hessischen Bischofsheim (Kreis Groß-Gerau) Narrenkappen für jeden Kopf. Bei ihr ist das Familientradition. «Meine Großmutter hat schon Narrenkappen genäht.» Ihre Eltern waren ebenfalls der bunten Kopfbedeckung treu. Als Zwischenhändler hätten sie zunächst die Kappen anderer Produzenten verkauft, erzählt Cezanne. Als der Zulieferer das Geschäft aufgegeben habe, hätten ihre Eltern es weitergeführt.
Sie selbst mache seit inzwischen 25 Jahren Narrenkappen, berichtet Cezanne weiter. Unterstützt wird sie von einem zehnköpfigen Team. In ihrer Werkstatt «Cezanne Komitée» entstünden so pro Kampagne zwischen 300 und 400 Kappen, schätzt sie. «Zum Glück ist das alles zeitversetzt.» Auch sie nennt prominente Kunden: Kardinal Karl Lehmann und Franz Beckenbauer beispielsweise.
Während Cezannes Großmutter noch Modelle aus Fahnentuch und einfachen Borten nähte, sind die aktuellen Kappen deutlich aufwendiger. Beispielsweise sollte mal ein «Dackelkopf mitsamt seiner raushängenden Zunge ein Teil der Mütze» sein. Für andere Kunden nähte sie «eine Kappe mit einer Fleischwurst rundum». Eine Herausforderung, betont Cezanne. Die Wurst habe so groß sein müssen, das sie auch aus der Ferne zu sehen war. Gleichzeitig sollte die Kappe auch stabil und bequem sein. Solch knifflige Aufgaben mag die Kappenmacherin besonders.
Obwohl die Fastnacht zu ihrem Arbeitsalltag gehört, feiert Cezanne nur selten mit. Zwar bekomme sie manchmal Einladungen, aber sie gehe nur «wohl dosiert» zu Sitzungen oder anderen Fastnachtsveranstaltungen, sagt sie. Meist bleibe ihr dazu nämlich vor lauter Arbeit gar keine Zeit.
Die Narrenkappe hat eine lange Tradition: 1827 wurde sie in Köln im Karneval eingeführt. «Als Erkennungsmerkmal: Wer ist überhaupt ein Narr und wer nicht», erklärt eine Mitarbeiterin des Mainzer Fastnachtsmuseums. Später mauserte sich die Kopfbedeckung dann zu einer Art Eintrittskarte. Auf einem runden Stück an der Kappe, dem sogenannten Stern, seien die einzelnen Veranstaltungen aufgezählt worden. Zum Beispiel: «Freitag, 7.2.1930 Haubensitzung». Je mehr auf dem Stern gestanden habe, desto teurer sei die Kappe gewesen. «Das war früher ein beliebtes Weihnachtsgeschenk für den Herrn des Hauses.»
Woher die typische Form einer Mainzer Narrenkappe mit ihren drei Zipfeln kommt, ist unklar. Es gebe mehrere Theorien, erzählt die Museumsmitarbeiterin. Ihr persönlicher Favorit: Die Kappe soll sich aus der zipfligen Kopfbedeckung mittelalterlicher Narren entwickelt haben. «Aber bewiesen ist das überhaupt nicht.» Vielleicht habe auch eine Kapuzenform aus dem Mittelalter, die Gugel, als Vorlage gedient. Eine andere Theorie bringt die moderne Narrenkappe mit der Jakobinermütze aus der Zeit der Französischen Revolution in Verbindung. Doch das hat sich nach Angaben der Expertin als falsch herausgestellt.
Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)
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