Berlin – Vereinigen sich die Proletarier aller Länder am Ende doch noch? In der Mode zumindest scheint die kommunistische Vision gerade Wirklichkeit zu werden.
Die Kleidung von der Straße – Streetwear – stürmt auf die Laufstege und in die Nobelgeschäfte. Und es ist eine Idee mit globalen Zügen, maßgeblich geprägt von einem amerikanischen und einem russischen Designer.erobert
Virgil Abloh ist ein Mann, der sich nur schwer fassen lässt. Kann sein, dass er heute in Tokio als DJ auflegt, morgen in Mailand an seiner Kollektion feilt und am Tag danach in Los Angeles mit dem Rapper Kanye West über ein neues Projekt spricht. Er nutzt die Gunst der Stunde.
Denn Virgil Abloh ist mit seinem Label Off-White derzeit schwer angesagt. Dabei klingt seine Idee erst einmal unspektakulär: Er überführt Trainingsanzüge, Kapuzenpullis und andere Streetwear-Basics in die Luxusmode – zu den entsprechenden Preisen. Jogginghosen zum Beispiel kosten 350 Euro aufwärts.
«Streetwear galt immer als billig, weil sie, im Gegensatz zur Laufstegmode, nicht konzeptuell ist. Ich bringe abstrakte Referenzen in die Streetwear», so erklärte Virgil Abloh in einem Gespräch mit dem «Zeit Magazin» seine Strategie. Nicht immer legt er diese Elemente jedoch pur auf, sondern baut zum Beispiel Seidenblusen, Blazer aus Samt und Pelz-Bomber ein, mixt sich also quer durch die Genres.
Der Sohn ghanaischer Eltern kam 1980 in Rockford im US-Bundesstaat Illinois zur Welt. Er studierte nie Mode, ist stattdessen Bauingenieur und Architekt. Mit 22 lernte er den damals noch unbekannten Kayne West kennen und wurde Kreativdirektor in dessen Produktionsfirma.
Was aber noch wichtiger für seinen heutigen Erfolg ist: Er war früh vernetzt mit den einflussreichsten Influencern, also Meinungsführern, der Musikwelt.
Wie bei Abloh ist auch der Stil von Gosha Rubchinskiy geprägt von Fußball, Skateboard und Musik. Er ist aber Russe, geboren 1984 in Moskau. Also hineingewachsen in die untergehende Sowjetunion, in eine textile Welt von billigen Stoffen und Kopien westlicher Marken. Diese Erinnerungen mischt er heute mit dem, was die Jugend auf der Straße trägt. Und trifft damit anscheinend einen Nerv.
Eines seiner Stilelemente: Er nimmt sich die plakative Symbolik bekannter Marken, etwa Adidas, Fila oder Burberry, und stellt seinen eigenen Namen dazu – gern in kyrillischen Buchstaben.
Auch der Georgier Demna Gvasalia greift in seinem Label Vetements dieses Prinzip auf. Gemeinsam mit der zurzeit sehr gefragten Stylistin Lotta Volkova werden die drei in den Medien als «post-sowjetische Avantgarde» gefeiert.
Gosha Rubchinskiy entwirft ausschließlich für Männer. Die Preise liegen deutlich unter denen von Ablohs Off-White. Roh, prollig, mit Macho-Ethos aufgeladen, solche Begriffe fallen in den Rezensionen seiner Kollektionen. Um die zu sehen, müssen die Medienvertreter inzwischen nach Russland reisen: Kaliningrad und St. Petersburg waren die Orte seiner letzten beiden Shows. Er nimmt es mit der Authentizität sehr genau.
Was man sowohl ihm, wie auch Virgil Abloh zuweilen vorwirft: Sie würden lediglich umarbeiten, was die Straße vorgibt. Nur ist die Zeit der Designer als alleinige Stilinstanz schon lange vorbei und auch Yves Saint Laurent (seinerzeit noch bei Dior) überführte schon 1960 damalige Streetwear (Rollkragenpullover, Lederjacken) in die Haute Couture.
Außerdem stehen die beiden Designer symbolisch für einen grundlegenden Systemwandel in der Branche: Blogger kratzen am Status der Modejournalisten. Zara, H&M und die anderen Ketten bestimmen die Taktung von Kollektionen – und die großen Designer passen sich an.
Die neuen Radikalen der Modewelt
Will sich die Mode weiterentwickeln, braucht sie Designer, die bereit sind, Regeln zu brechen. Und gerade das passiert im Moment in einem Maße wie lange nicht. Es werden Schönheitsnormen hinterfragt, Geschlechtergrenzen aufgelöst, Banalitäten zum Luxus umkodiert.
Letzteres ist die Paradedisziplin von DEMNA GVASALIA und seinem Label Vetements. Er macht die uncoolsten Kleidungsstücke begehrenswert und spielt mit Stereotypen – ein Grenzgang zwischen Avantgarde und Parodie.
Ihm nicht unähnlich ist GOSHA RUBCHINSKIY. Beide kombinieren eine bestehende Logo-Ästhetik mit ihrer eigenen und überzeichnen so den Markenkult. Der prollig anmutende Stil des Russen Rubchinskiy wird im Westen mit «post-sowjetisch» etikettiert.
Wie er treibt auch VIRGIL ABLOH mit seinem Label Off-White die Streetwear immer tiefer in den Luxussektor hinein.
Dort ist Gucci ohnehin beheimatet. Und mit ALESSANDRO MICHELE kam die kreative Anarchie ins Haus. In seinen fantasievollen Kollektionen reißt er alle Grenzen nieder, zwischen Hoch- und Subkultur, zwischen Mann und Frau.
Vieles von dem, was diese Designer entwerfen, kann irritieren und verstören. So war es am Anfang aller modischen Umwälzungen, von Chanel bis Comme des Garçons. Ob es einer der neuen Radikalen in die Riege der großen Moderevolutionäre schafft, wird jedoch erst die Zukunft zeigen.
Fotocredits: Maurizio Degl’innocenti
(dpa)
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