Hannover – Jasmin Mittag möchte zu Weihnachten keine Geschenke. «Ich habe alles, was ich brauche», sagt die 40-Jährige, die auch für ihre Freunde nichts kaufen wird.
Statt materieller Dinge verschenkt Mittag Zeit – zum Beispiel eine gemeinsame Unternehmung. «Meistens sind die Gegenstände überflüssig, die wir verschenken», sagt die Aktivistin, die in Hannover einen Minimalisten-Stammtisch organisiert.
Die Musiktherapeutin Maren Kauer aus Bamberg sieht materielle Weihnachtsgeschenke ebenfalls kritisch. «Den Stress, irgendwelche Konsumgüter zu kaufen, sparen wir uns», sagt die 43-Jährige über sich und ihren Mann. Die Weihnachtszeit nutzt sie gerne für einen Urlaub und gutes Essen. «Das ist ein Geschenk an uns selbst, bei dem wir uns schöne Erinnerungen erschaffen.» Dass sie an den Festtagen nichts auspacken muss, sei wunderbar. «Dadurch brauchen wir keine ungeliebten Geschenke zu entsorgen.» Freunden schenke sie Gutscheine für schöne Erlebnisse oder Babysitten.
Für Minimalisten wie Mittag und Kauer sind Zeit-Geschenke bedeutsamer als Konsumartikel. Sie beschränken sich in ihrem Leben bewusst auf das Nötigste und behalten nur das, was ihr eigenes Leben bereichert – auch an Weihnachten. «Ich mache eine Kerze an, treffe Menschen, die ich sehr gerne habe und gehe tanzen», sagt Mittag über ihre Pläne für die Feiertage. Das Konzept Minimalismus erklärt die Aktivistin so: «Es ist ein Lebensstil, der versucht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Jede Person bestimmt selber, was wesentlich ist.»
Minimalismus als Lebensweise ist in den vergangenen Jahren bekannter geworden. Viele Bücher und Internetseiten geben Tipps zum Entrümpeln der Wohnung und Anregungen für ein bewussteres und nachhaltigeres Leben. Das Versprechen: Wer sich auf das Nötigste konzentriert, wird freier und glücklicher. Selbst im Kino ist das Thema angekommen. Anfang Dezember startete die Komödie «100 Dinge» mit Matthias Schweighöfer und Florian David Fitz. Im Rahmen einer Wette versuchen zwei Freunde 100 Tage auf Konsum zu verzichten. «Wenn ich Sachen kaufe, um glücklich zu werden – was heißt das denn im Umkehrschluss?», fragt einer der beiden im Trailer. «Dass du nicht glücklich bist», lautet die Antwort.
Bundesweit sei das Interesse an einer minimalistischer Lebensweise leicht gestiegen, sagt Klaus-Peter Wiedmann von der Universität Hannover. Einen großen Trend sieht der Direktor des Instituts für Marketing und Management im Minimalismus aber nicht. Ihm zufolge sind bis zu 15 Prozent der Gesellschaft offen für einen solchen Lebensstil. Für bis zu zehn Prozent sei das Thema wichtig, intensiv gelebt werde bewusster Konsumverzicht von einer deutlich kleineren Gruppe.
Wer nach einem immateriellen Geschenke sucht, findet im Internet Tipps und Vorschläge. «Zeit statt Zeug» lautet ein Schlagwort. Neben Ausflügen werden Babysitten, Hilfe bei der Gartenarbeit, Massagen oder Vorlesen empfohlen. «Die persönlichsten und nachhaltigsten Geschenke kommen von Herzen und kann man nicht kaufen: Zeitgeschenke!», heißt es auf der Internetseite der Frauenzeitschrift «Brigitte». Die Idee: Wenn Menschen fast alles haben außer Zeit, sind Zeit-Geschenke wertvoll.
Vor allem für Leute, die viel arbeiten, sei Zeit Luxus, sagt Wiedmann. «Der Wert hängt natürlich auch von der Knappheit ab.» Wenn ältere Menschen im Alltag zum Beispiel wenig Zeit mit ihren Kindern und Enkelkindern haben, sei es wahrscheinlich, dass Zeit mit ihren lieben Verwandten ein besonderes Geschenk sein könne. Wiedmann, der Soziologie und Psychologie studiert hat, geht davon aus, dass eine steigende Zahl von Menschen Zeit als mögliches Geschenk wahrnimmt.
Zeit-Geschenke für Fremde finden sich unter anderem in sozialen Medien. «Wir haben noch Platz frei. Platz für einen Menschen, der an Weihnachten nicht alleine sein möchte», schreibt Melina Zygrodnik aus der Nähe von Bremen auf Facebook. Mit ihrem Angebot will die 21-Jährige einem einsamen Menschen eine Freude machen. «Wir haben Platz, wir haben genügend Essen, wir sind eine große Familie, die herzensgut ist», erklärt sie ihre Einladung.
Auch kommerzielle Unternehmen haben das Thema für sich entdeckt, zeigt etwa der Werbespot einer Supermarktkette aus dem Jahr 2016. Rund elf Millionen Mal wurde der Film auf Youtube bislang angesehen. Eine Frauenstimme erzählt darin, wie Eltern in der Weihnachtszeit in Stress geraten, weil sie angeblich so viele Dinge machen müssen. Am Ende wird die Stimme nachdenklich und sagt: «Muss nicht dies, muss nicht das, muss nicht jenes und nicht irgendwas. Ich muss nur eines, wie ich find: für dich da sein, mein Kind.»
Fotocredits: Julian Stratenschulte
(dpa)
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