Würzburg – T-Shirts, Jacken und Hosen, designt für Männer wie für Frauen: Geschlechtsneutrale Kleidung ist längst keine Fiktion mehr. Modemacher wie Gareth Pugh, Ann Demeulemeester oder die Marke Comme des Garçons bringen Unisex-Kollektionen auf den Markt.
Sie richten sich mit diesen bewusst an beide Geschlechter. Auch auf den Laufstegen haben Männer und Frauen schon die gleichen Stücke präsentiert. Der Designer Rad Hourani war der erste, der im Jahr 2013 eine geschlechtsneutrale Haute-Couture-Kollektion herausbrachte. Und Unisex-Models wie Transfrau Andrej Pejic sind gut gebucht.
«Aktuell sind Unisex-Kleidungsstücke noch sehr zurückhaltend im Design und in der Farbgebung, fast schon puristisch», sagt Mara Michel, Geschäftsführerin des Netzwerks deutscher Mode- und Textil-Designer in Würzburg. «Wir sehen viel schwarz, weiß oder grau gehaltene Bekleidung, in dezenten Nichtfarben sozusagen.» Ihrer Meinung nach wird das jedoch nicht so bleiben.
Bislang ist Unisex-Kleidung nicht mehr als eine Sparte. Die modischen Geschlechtergrenzen weichen auf, verschwinden aber keinesfalls. Die geschlechterspezifische Kleidung wird nicht abgeschafft, vielmehr wird die Kleidung adaptiert.
Dass Frauen Männerkleidung überziehen ist natürlich nicht neu, schließlich tragen Frauen seit Jahrzehnten Hosen. Die Modeberaterin Ines Meyrose aus Hamburg beobachtet jedoch, dass sich Frauen zunehmend aus dem Kleiderschrank der Herren bedienen: «Die Damen tragen Männeruhren, Hemden mit Holzfällermuster und Norweger-Pullover.»
Aber auch die Herren klauen bei den Damen, erklärt Mara Michel: «Schon jetzt sehen wir vereinzelt Männer in langen, schwarzen Faltenröcken, in Hosen mit übergezogenem Kilt oder um die Hüfte gebundenem Anorak, was von hinten wie ein Rock aussieht.» Und die Skinny-Jeans für Männer ist ebenso längst en vogue. Herrenstiefel bekommen sogar einen leichten Absatz. «Ob sich Plateaus durchsetzen, bleibt jedoch abzuwarten», sagt Michel.
Die Modeindustrie passt sich der Bewegung zunehmend an. Bei den Sportjacken etwa gebe es kaum noch Unterschiede, beobachtet Hartmut Spiesecke, Sprecher des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie. Die weiten Hemdblusen, die in der Damenmode gegenwärtig modern sind, seien letztlich ebenfalls kaum noch von Männerhemden zu unterscheiden. «Einzig die Knöpfe sind bei den Damen links und bei den Herren rechts», erklärt Spiesecke.
Den Wunsch, das eigene Geschlecht zu leugnen, sieht Spiesecke jedoch nicht als Begründung für die Entwicklung an. «Dieser Trend ist kein reines Genderthema, sondern hat viel mit praktischen Beweggründen zu tun», erläutert der Modeexperte. Stilberaterin Meyrose stimmt ihm zu: «Die Frauen bedienen sich der Vorzüge. Sie wollen, dass auch ihre Mode bequem, langlebig und stabil ist.»
Dies könne als Fortführung dessen verstanden werden, was in den Nachkriegsjahren bei den sogenannten Trümmerfrauen zu sehen war: «Natürlich trugen sie Röcke, aber eben auch die zweckmäßigen Hosen, Hemden und Overalls ihrer Männer», erklärt Meyrose. Die Männermode werde im Gegenzug so stark wie lange nicht mehr von der Farbigkeit der Frauenmode beeinflusst: «Noch nie haben wir so viel Rot, Orange oder Kobalt in der Herrenmode gesehen.»
Spiesecke beobachtet dabei eine wachsende Bereitschaft für Unkonventionelles, hervorgerufen durch Metrosexualitätstrends: «Die Akzeptanz in der Gesellschaft wächst, man stößt sich heute weniger an Ungewöhnlichem, sondern denkt vielleicht eher: Schräger Vogel, aber warum nicht.»
Mit der Abschaffung der Damen- und Herrenabteilungen in den Geschäften ist in den kommenden Jahren also keinesfalls zu rechnen. Dass sich die Kollektionen für Männer und Frauen aber zunehmend annähern, davon ist zumindest Branchenkennerin Mara Michel überzeugt. «Irgendwann wird es keine Geschlechterrollen mehr geben», sagt sie. «Männer und Frauen brauchen dann keine Quote mehr, und auch die Aufgabenteilung wird kein Problem mehr sein. Die Mode ist für diese gesellschaftliche Veränderung der erste Fühler.»
Fotocredits: Ian Langsdon
(dpa/tmn)
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